Die Next Billion Users (NBU) Initiative soll mit einer Vielzahl verschiedener Projekte in sogenannten Schwellen- und Entwicklungsländern Probleme wie unzureichenden Internetzugang oder veraltete Hard- und Software angehen. Dabei wird explizit der Fokus auf Nutzer*innenforschung bei sämtlichen Programmen betont. Google gibt an, Forschung in strukturell oder wirtschaftlich benachteiligten Regionen durchzuführen, um die potenziellen Nutzer*innen und deren Bedürfnisse zu verstehen. Basierend auf dieser Forschung werden Produkte und Dienste designt, die den Mensch ins Zentrum der digitalen Erfahrung stellen und beispielsweise kulturelle Aspekte miteinbeziehen. (5)
„By 2025, the Internet economy has the potential to contribute $180 billion to Africa’s economy, helping improve productivity in areas ranging from agriculture, health care, and financial services to education and supply chains.“
Seit 2014 hat Google eine Reihe verschiedener Produkte, Open-Source-Tools und Richtlinien im Rahmen der NBU-Initiative auf den Markt gebracht. Darunter befinden sich Offline-Angebote für Dienste wie YouTube oder Google Maps, Apps für verbesserten Datenschutz oder KI-Anwendungen, die Kinder beim Sprachen lernen unterstützen. In diesem relativ kurzen Zeitraum wurden jedoch einige dieser Projekte, wie z. B. „Google Station“ bereits wieder abgebrochen. Wie bereits erwähnt, bezieht Google Nutzer*innen aus den jeweiligen Regionen in die Produktentwicklung ein. Denn die digitalen Erfahrungen der oftmals marginalisierten Gruppen unterscheiden sich teils stark von der Internetnutzung in sogenannten Industrienationen. (12)
Um den Einstieg in das Internet und in digitale Technologien zu erleichtern, werden kulturelle Hintergründe einbezogen, um Bildungs-, Gesundheits- oder inklusive Finanzanwendungen zugänglich zu machen. Ein Beispiel ist der Sprachassistent „Google Assistant“ der mittlerweile in vielen Sprachen verfügbar ist und eine intuitive und einfache Nutzererfahrung ermöglichen soll. Eine Vielzahl an Open-Source-Projekten und Richtlinien, sollen zudem der lokalen Bevölkerung die Entwicklung eigene, zugeschnittene Produkte und Dienste zu entwickeln. Viele Projekte sind besonders auf Smartphones zugeschnitten, da ein Großteil zukünftiger Internetnutzer*innen sich auf diesem Weg verbinden wird. Google schreibt, dass bis 2025 eine Milliarde Menschen mehr ihr erstes Smartphone besitzen werden. (5)
Ein weiterer Schwerpunkt der Initiative ist Inklusivität, Gleichberechtigung und Gerechtigkeit. Besonders um fehlende Gleichberechtigung der Geschlechter entgegenzuwirken, sollen eigenständiger Zugang zum Internet, Inhalte & Gemeinschaft, Privatsphäre und Sicherheit verbessert werden. (5)
Es wird immer wieder das große Potenzial dieser Innovationen, vor allem die Korrelation zu wirtschaftlichem Wachstum für die Länder, hervorgehoben. Google bietet also eine weite Bandbreite an Produkten und Diensten an, die verbesserte Verhältnisse in sämtlichen Lebensbereichen vom Schulunterricht bis zum Bezahlen per App digitalisieren sollen. (5;12)
Dieser Abschnitt dient dazu, die Next Billion Users-Initiative einzuordnen und mit den Merkmalen des digitalen Kolonialismus abzugleichen, und festzustellen, ob die Initiative mit diesem Begriff beschrieben werden kann.
Bei dem ersten Charakteristikum handelt es sich um ein Muster der Ausbeutung. Dabei ist sowohl die physische Form als auch die virtuelle Form der Ausbeutung einzubeziehen. Die physische Ausbeutung bezieht sich unter anderem auf Rohstoffe oder Arbeitskräfte. Ein Großteil der Materialien, die zur Herstellung von Hardware nötig sind, werden beispielsweise aus afrikanischen Ländern wie der D. R. Kongo extrahiert, durch günstige Arbeitskräfte in Ländern wie China verarbeitet, aber anschließend in westlichen Ländern verkauft und genutzt. Das digitale Leben in der nördlichen Hemisphäre fußt auf der Ausbeutung des globalen Südens (11). In Bezug auf die NBU-Initiative ist jedoch vor allem die virtuelle Ausbeutung der Bevölkerung durch Daten zu nennen. Durch die Nutzung von Googles Produkten und Diensten stellen die Menschen dem Konzern ihre Verhaltensdaten zur Verfügung. Diese werden nicht nur gesammelt, ausgewertet und für Profit weiterverkauft, sie können potenziell auch für politische Überwachung und Kontrolle z. B. durch Regierungsakteure genutzt werden (17).
Das zweite Charakteristikum ist die Kolonisation von Kommunikationsräumen, welches eindeutig erfüllt wird. Google rechtfertigt den Ausbau von Netzwerkkonnektivität und digitalen Technologien vor allem mit Fortschrittsversprechen, Inklusion und wirtschaftlicher Entwicklung. Die Technologien sollen in sämtlichen Bereichen des Lebens (Bildung, Finanzen, Gesundheit, etc.) eingesetzt werden.
Damit wird eine zentrale Überwachung durch nur einen Akteur, wie in diesem Fall Google, möglich. Große Teile der weltweiten digitalen Kommunikation sind in den Händen eines US-amerikanischen Oligopols, zu dem auch Google gehört (2).
Auch das dritte Charakteristikum von digitalem Kolonialismus, die geografische Ausbreitung, ist damit eng verbunden. Damit ist die Erschließung von Märkten in Entwicklungs- und Schwellenländern gemeint. Google vergrößert den eigenen Einflussbereich und natürlich den eigenen Profit, indem sie neue Nutzer*innen an ihr eigenes „Produkt-Ökosystem“ heranführen und damit vertraut machen. Durch das breite Angebot an Produkten und Programmen von ein und demselben Konzern sind Nutzer*innen praktisch daran gebunden.
Google verkauf Smartphones (Hardware), bietet Applikationen wie Files Go (Software) an und baut den Internetzugang durch Projekte wie Google Station aus (Netzwerkkonnektivität) (6). Alle drei Säulen der strukturellen Vorherrschaft im digitalen Kolonialismus sind durch die Next Billion Users-Initiative abgedeckt. Insgesamt ist die Initiative trotz sinnvoller Ansätze daher kritisch zu sehen. Während die technologischen Innovationen wie Sprachassistenten oder Apps, die nicht auf Internetverbindungen angewiesen sind, sicherlich zu Empowerment und verbesserten Lebensverhältnissen führen können, ist vor allem die Struktur hinter dem NBU-Programm das Problem. Aufgrund der enormen Machtkonzentration auf einen einzigen, ausländischen Konzern aus den USA sind die Zielsetzungen der Initiative mehr Fassade, hinter der sich Absichten verbergen, die eindeutig digitalem Kolonialismus entsprechen.
Quellenangaben und weitere Informationen sind im Impressum aufgelistet.