Die Ermächtigung von Nutzer*innen (Empowerment) wird von Big Tech oft als einer der Beweggründe für Initiativen, wie sie in diesem Projekt vorgestellt wurden, genannt. Individuen wird die Möglichkeit für Teilhabe, Selbstbestimmung oder Individualisierung ermöglicht (17). Sie können allein oder im Kollektiv ihr Leben und ihre Umgebung mit Hilfe digitaler Technologien und dem Internet selbst formen (6). Produkte und Dienste wie Googles Read Along oder Facebooks Discover sind sinnvoll, da sie Probleme in Regionen mit schlechtem Internetzugang lösen und damit einen Mehrwert schaffen. Damit wird auch mehr Inklusivität und Gerechtigkeit für marginalisierte Gruppen gewährleistet. Insbesondere Google bemüht sich, Nutzer*innen gezielt in den Entwicklungsprozess mit einzubeziehen.

Der Empowerment-Aspekt ist jedoch trotz all dieser Vorteile kritisch zu betrachten. Grund dafür ist die strukturelle, globale Dominanz von Unternehmen wie Google oder Meta. All die Bereiche, in denen die NBU „empowered“ werden, sind davon überschattet, dass letztendlich noch immer die Big Tech-Konzerne die Kontrolle über die digitale Infrastruktur besitzen. Der Empowerment-Effekt reicht also nur bis zu einem gewissen Grad und kann als reine Fassade bezeichnet werden (17), die von der Wahrheit ablenkt.

Das Argument der verbesserten wirtschaftlichen Entwicklung durch die Präsenz von Big Tech in „Entwicklungsländern“ ist eng verknüpft mit dem Gedanken von Empowerment und Fortschritt. Die Plattformen und Produkte der Konzerne bieten ein Fundament von Ressourcen, von dem aus lokale Bevölkerung z. B. ein eigenes Geschäft aufbauen kann. Google stellt im Rahmen der NBU-Initiative Open-Source-Software zur Verfügung (5) und Facebook ist bereits in vielen Ländern ein digitaler Marktplatz, der dort aus dem Leben nicht mehr wegzudenken ist (9). Google bezeichnet Afrikas digitale Wirtschaft als Wachstumsmotor, der das Leben in vielen Bereichen verbessern wird.

Der Grundgedanke der „information revolution“ ist, dass wirtschaftliche Entwicklung von technologischer Innovation abhängt, weshalb die Wirtschaft digitalisiert werden soll (15).

Das wahre Geschäft wird allerdings außerhalb des globalen Südens gemacht. Die Daten von Nutzer*innen (Big Data) sind ein wertvolles Wirtschaftsgut (2) und somit tragen die Next Billion Users vor allem zur wirtschaftlichen Entwicklung und Dominanz des Westens bei (3).

Der Aspekt des Fortschritts kann in diesem Kontext als eine Kombination von Empowerment und wirtschaftlicher Entwicklung beschrieben werden, indem darüber hinaus aber auch weitere soziale und gesellschaftliche Faktoren enthalten sind. Das Internet und ICTs im Allgemeinen werden heutzutage meist als Notwendigkeit in einer „modernen Welt“ gesehen. Neben philanthropischen Motiven begründen Big Tech-Unternehmen ihr Vorstoßen auf Märkte im globalen Süden auch mit dem Fortschrittsversprechen. Damit ist Fortschritt in sozialer als auch ökonomischer Hinsicht gemeint. Digitale Technologien werden als elementarer Bestandteil des Fortschritts benannt (15). Es werden die Vorteile von Produkten wie dem KI-basierten Google Assistant hervorgehoben, der völlig neue Möglichkeiten eröffnen soll.

Im Zusammenhang mit dem Fortschrittsnarrativ und dem sogenannten „Frontier-Gedanke“ fallen häufig Begriffe wie Erlösung, Entwicklung, wissenschaftliche Rationalität oder Innovation (11). Diese Rhetorik entstammt einem Bild westlicher Modernität aus dem historischen Kolonialismus, womit Technologie als zentrales Element des Fortschritts legitimiert werden soll (3). Die Tatsache, dass soziale Infrastruktur und digitale Dienste in privater Hand sind, anstatt ein öffentliches Gut zu sein, wird dem Fortschrittsversprechen untergeordnet (11).

Ein Muster der Ausbeutung war in diesem Projekt eines der drei Merkmale für digitalen Kolonialismus. Vor allem die virtuelle Ausbeutung von Nutzer*innen durch das Abgreifen ihrer Daten, konnte nicht nur in beiden Initiativen festgestellt werden, sie sind ferner essenzielle Grundbausteine der Geschäftsmodelle von Meta und Google (18).

Diese institutionalisierte Form der Ausbeutung wird unter anderem als „Überwachungskapitalismus“ bezeichnet. Er zeichnet sich durch oft unlesbare und intransparente Mechanismen aus, mit denen der Mensch über Ausbeutung, Kommodifizierung und Kontrolle effektiv aus dem eigenen Verhalten verbannt wird. Während das Individuum also durch umfassende Sammlung und Weiterverwertung von Daten ausgebeutet wird, erschließen Big Tech-Konzerne auf dieser Basis neue Märkte der Verhaltensvorhersage und -modifikation (18). Die Parallelen zum historischen Kolonialismus sind dabei eindeutig. Der Unterschied besteht darin, dass nicht Land kolonisiert wird, sondern digitale Technologie (6). In Bezug auf die Google NBU-Initiative oder Meta Connectivity ist festzustellen, dass unter dem Vorwand philanthropischer Versprechen von Empowerment und Fortschritt enorme Mengen an Daten von Individuen, Gruppierungen oder auch Organisationen gesammelt werden. Für die Unternehmen entstehen daraus letztendlich Gewinne.

Das Problem der Abhängigkeit besteht auf zwei Ebenen, auf der Ebene der Unternehmen und auf der Ebene der Nutzer*innen. Beide Probleme sind dabei unmittelbar miteinander verbunden. Die Dienste und Produkte von Unternehmen wie Google oder Meta sind von Grund auf dazu entworfen, ökonomische Vorherrschaft auch über große Entfernungen hinweg zu ermöglichen. Die Nutzung der Produkte schafft Passivität und Abhängigkeit der Nutzer*innen von einem in sich geschlossenen Daten- bzw. Produktökosystem (3). Für soziale Interaktion ist diese Infrastruktur inzwischen so wichtig, dass es kaum möglich ist, sich davon zu trennen (17).

Wechselseitig sind aber nicht nur Nutzer*innen von den Produkten abhängig, sondern umgekehrt auch die Produkte von Nutzer*innen bzw. deren Daten. Denn die Geschäftsmodelle dieser Unternehmen basieren auf einer massenhaften Aggregation von Daten (11). Mehr Daten bedeuten mehr Profit und eine Sicherung der Monopolstellung. Die Dienste und Produkte werden dabei auch in Bezug auf die Werbeindustrie optimiert (15). Dieser Form der strukturellen Dominanz digitaler Architektur ist der Grund, warum Big Tech so viel Macht akkumulieren konnte.

Hinter den in diesem Projekt untersuchten Initiativen steht also vor allem das Ziel, neue Nutzer*innen und Daten zu gewinnen, um globale Dominanz auszuweiten.

Ein zentraler Aspekt, der digitalem Kolonialismus zugrunde liegt, ist das ideologische Denken, welches dahintersteckt. Im Rahmen dieses Projekts wurden dazu die Kommunikationsideologie und die kalifornische Ideologie vorgestellt. Die Gefahr, die von diesem ideologischen Gedankengut ausgeht, ist exemplarisch gut an diesem internen Memo des Facebook-Vizepräsidenten Andrew Bosworth aus dem Jahr 2016 zu erkennen: „We connect people. Period. That’s why all the work we do in growth is justified. All the questionable contact-importing practices. All the subtle language that helps people stay searchable by friends. All the work we do to bring more communication in. […] All of it.“ (3). Jegliches Handeln wird auf Grundlage von Ideologie getroffen, weshalb sie den Kern des Problems darstellt. Dieser Frontier-Gedanke ist eine Denkweise, die tief im historischen Kolonialismus verwurzelt ist, wo Modernität und Fortschritt in den Augen der Imperialisten jegliche Verbrechen rechtfertigten (11).

Philanthropie spielt in den Google NBU und Meta Connectivity Initiativen vor allem nach außen hin eine Rolle. Tatsächlich wird mit der Datafizierung der Gesellschaft zu deren Optimierung, jeglicher Eingriff in Privatsphäre und Persönlichkeitsrechte gerechtfertigt. Das Oligopol der „Big Five“ ist dabei nicht nur ein nützliches Werkzeug, welches die Ideologie weiter stützt, es ist auch ein Labor, in dem mit den effektivsten Methoden zur Extraktion von Daten experimentiert wird (15).