Informationstechnologien wie das Internet haben unser Leben revolutioniert und völlig neue Möglichkeiten für globale Kommunikation und Vernetzung geschaffen. Eine sich zunehmend beschleunigende Digitalisierung, die von ständiger technischer Innovation geprägt ist, steht in starkem Kontrast zu mehr als der Hälfe der Weltbevölkerung, die keinen Internetzugang hat (4).
Während Konzerne wie Facebook und Google, aber auch chinesische Tech-Großkonzerne wie Huawei, hohe Summen an finanziellen Mitteln in die digitale Infrastruktur der strukturschwachen Regionen stecken, bleibt die Frage, wie eigennützig diese Investitionen wirklich sind. Werden die Bedürfnisse der lokalen Bevölkerung berücksichtigt oder steht die Ausweitung von Dominanz und Einflusssphäre der Unternehmen alleinig im Vordergrund?
Oftmals werben Big Tech-Konzerne mit Versprechen von Teilhabe, Fortschritt und Empowerment (Ermächtigung). Gleichzeitig wird den dominierenden Technologiekonzernen eine systematische Ausbeutung von Ressourcen (vor allem Daten) der lokalen Bevölkerung vorgeworfen, die mit dem Begriff „digitaler Kolonialismus“ beschrieben werden.
„The legacy of colonialism explains not only debt and poverty but also other important issues of our times such as racism, migration, lack of educational opportunities, and terrorism.
The remnants of colonialism will linger as long as former colonizers continue to try to impose their economic and political models of development as the only worthy goals for the rest of the world.“
Der Begriff des Kolonialismus wird mittlerweile in einigen Konzepten auf digitale Kontexte übertragen. Um diese unterschiedlichen Ansätze diskutieren zu können, ist es zunächst wichtig, den historischen Kolonialismus bis Mitte des 20. Jahrhunderts klar von gegenwärtigen Konzeptionen abzugrenzen.
Der historische Kolonialismus bezieht sich vor allem auf die Zeit des europäischen Kolonialismus des 16. bis 20. Jahrhundert, der weite Teile des afrikanischen, asiatischen und der amerikanischen Kontinente betraf. Er zeichnet sich durch zwei grundlegende Charakteristika aus. Die eurozentrische Ideologie beinhaltete universelle Narrative und Werte, mit denen die Auferlegung einer „modernen“ Welt gerechtfertigt, und der Grundstein für die Globalisierung gelegt wurde. Dies sollte, als zweites Merkmal, eine fundamentale Umstrukturierung sozialer und ökonomischer Verhältnisse in den kolonisierten Gebieten rechtfertigen. Historischer Kolonialismus wurde als Weltanschauung dargestellt, die Überlegenheit von Kolonisatoren gegenüber den Kolonisierten im Kern umfasste. Im Namen von Fortschritt und Modernität wurden grausamste Ausbeutung und Gewalt gerechtfertigt, da sie als notwendige Pflicht angesehen wurden. (3)
Darauf aufbauend sind deutliche Parallelen zum sogenannten digitalen Kolonialismus zu erkennen. Der Begriff beschreibt den imperialen Charakter von international operierenden Technologiekonzernen, die zunehmend Märkte in sogenannten Entwicklungs- und Schwellenländern erschließen wollen, um nicht nur geografisch, sondern auch ökonomisch zu expandieren. Digitaler Kolonialismus zeichnet sich durch drei Charakteristika aus. Zunächst ein Muster der Ausbeutung (z. B. in Form von Rohmaterialien, Arbeitskraft oder Daten, die zentral gesammelt und weitergegeben oder verwertet werden). Zudem die Kolonisation von Kommunikationsräumen durch ein Oligopol weniger (ausländischer) Konzerne, die sämtliche Infrastruktur und Plattformen bereitstellen und somit kontrollieren. Das dritte Merkmal ist die geografische Ausbreitung, die durch Erschließung von Märkten im globalen Süden gekennzeichnet ist. (11)
Das Machtmonopol der Konzerne ermöglicht wirtschaftliche Vorherrschaft, Kontrolle über sämtliche Lebensbereiche (die computervermittelt sind) und Überwachung der Bevölkerung in Zusammenarbeit mit Regierungen und Geheimdiensten. Digitaler Kolonialismus ist eine strukturelle Form der Vorherrschaft, die auf den drei Säulen Software, Hardware und Netzwerkkonnektivität fußt. (6)
Die Bezeichnung „Big Tech“ bezieht sich auf die weltweit dominanten und größten Technologiekonzerne in der Informationstechnologie.
Soft- und Hardwareprodukte wie beispielsweise Smartphones, Suchmaschinen oder soziale Netzwerke dieser Unternehmen werden in globalem Umfang nahezu flächendeckend genutzt. Da diese Produkte und Dienste sowohl in privaten als auch geschäftlichen Kontexten verstärkt eingesetzt werden, haben Big Tech-Konzerne heute starken politischen, ökonomischen und kulturellen Einfluss auf sämtliche Bereiche des Lebens (6).
Oft werden synonym mit dem Begriff „Big Tech“ die fünf größten Technikkonzerne (auch „Big Five“ oder GAFAM) gemeint. Die Abkürzung steht für die jeweiligen Unternehmen: Google (Alphabet), Apple, Facebook (bzw. die Plattformen von Meta), Amazon und Microsoft (3). Die Macht der Big Five wird zunehmend kritisch und mit Sorge betrachtet. Den Konzernen wird vorgeworfen, ihre Oligopolstellung auszunutzen und ubiquitär Daten von Nutzer*innen abzugreifen und weiter zu verwerten. Einige Datenschutz- und Sicherheitsskandale haben in der Vergangenheit dazu beigetragen.
Der Begriff „Next Billion Users“ bezieht sich auf zukünftige Nutzer*innen digitaler Technologien und des Internets, die bisher keinen Zugang dazu haben. Damit ist vor allem die Bevölkerung sogenannter Entwicklungsländer gemeint, die bis heute entweder gar nicht, oder nur in eingeschränktem Maße digital mit dem Rest der Welt vernetzt ist. (11)
In diesem Kontext ist es wichtig zu erwähnen, dass es für „Entwicklungsländer“ bisher keine einheitliche Definition gibt, die allgemein anerkannt wird. Oft werden Begriffe wie „Dritte Welt“ oder „Globaler Süden“ verwendet, die aber ebenso wie der Begriff „Entwicklungsland“ umstritten sind, da sie eine negative Wertung suggerieren.
Unzureichende Zugangsmöglichkeiten zu digitaler Infrastruktur kennzeichnen in diesen Ländern den sogenannten „Digital Divide“. Heute sind Informations- und Kommunikationstechnologien (ICT) nicht nur von zentraler Bedeutung im gesellschaftlichen Leben, sie bilden gewissermaßen die Infrastruktur, die gesellschaftliche Teilhabe ermöglicht. Der Zugang zum Internet kann deshalb als Trennlinie gesehen werden, die über Teilhabe und Ausgrenzung entscheidet. (8)
In diesem Abschnitt soll das Vordringen von Big Tech in Entwicklungsländern aus ideologischer Perspektive kritisch beleuchtet werden, indem einige Ansätze vorgestellt werden. Wie bereits im Abschnitt zum digitalen Kolonialismus erwähnt, war Ideologie ein zentrales Merkmal des historischen Kolonialismus. Der Gedanke von Überlegenheit durch Modernität und organisiertem Fortschritt findet seinen Ursprung im Kolonialismus (3) und ist auch im digitalen Kolonialismus weiterhin präsent.
Der Grundgedanke dieser Ideologie ist der Glaube an die Macht, und positive Wirkung von, Kommunikation und das damit verbundene Verlangen, sich selbst offen und kommunikativ zu präsentieren. Als soziale Tugend hilft Kommunikation, sich in die Gemeinschaft zu integrieren, diese fördern und sämtliche Konflikte zu lösen. Mehr Kommunikation ist gut, wenig Kommunikation ist nicht nur schlecht, sondern schädlich. Technische Innovationen werden somit positiv wahrgenommen, da sie als Mittel dienen, Kommunikation zu verbessern und zu intensivieren. Unternehmen und Regierungen stützen sich auf diesen Grundgedanken, wenn Kommunikationsnetzwerke ausgebaut werden, und argumentieren mit der Schlüsselrolle von Kommunikation zur Verbesserung der Gesellschaft auf sämtlichen Ebenen. (7)
Diese Ideologie verbindet den libertären Geist der Hippie-Bewegung mit dem unternehmerischen Eifer des kalifornischen Silicon Valley und setzt sich damit eine Erneuerung des Kapitalismus zum Ziel (15). Der Grundgedanke ist, dass technische Innovationen und Kommunikationstechnologien emanzipatorisch wirken und die persönliche Freiheit von Individuen stärken, da sie die Macht von Konzernen und Regierungen brechen. Die Begriffe Individualismus und persönliche Freiheit stehen im Vordergrund. Technischer Fortschritt soll als veraltet angesehene politische und wirtschaftliche Regulation jeglicher Form ablösen bzw. ersetzen (sog. „Frontier-Gedanke“) (1). Big Tech-Unternehmen wird in diesem Zusammenhang vorgeworfen, die ursprüngliche Idee des Internets zur Anhäufung von Vermögen entfremdet und missbraucht zu haben (15).
Technischer Fortschritt wird inzwischen vermehrt kritisch gesehen. Die Durchdringung der Gesellschaft mit Kommunikationstechnologien wird zumindest nicht mehr als ausschließlich positiv beurteilt. Neil Selwyn hat bereits Anfang der 2000er Jahre darauf hingewiesen, dass eine kritische Haltung oder gar eine Verweigerung der Teilnahme an der Informationsgesellschaft differenziert betrachtet werden muss. Es müssen ökonomische, materielle, individuell psychologische, aber auch soziale Faktoren einbezogen werden, wenn über Akzeptanz von Informations- und Kommunikationstechnologien (ICTs) im Alltag geurteilt wird. (13)
Quellenangaben und weitere Informationen sind im Impressum aufgelistet.